Leben in der Krise – wenn es langsam reicht

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Christoph Jung

Wir haben noch Glück. Fast jeden Tag schönes Wetter. Wir dürfen raus – anders als die Menschen in Italien und Spanien. Einen triftigen Grund müssen wir schon haben. Ganz wichtig, Gassi mit dem Hund zählt dazu. Oder ein Ausritt mit dem Pferd. Nur die Katzen sollen neuerdings drinnen bleiben. Darauf komme ich später noch. Für mich ist es jedes Mal ein Höhepunkt des Tages, wenn es wieder raus geht, unsere drei Hunde, alle jenseits der 12, freudig erregt an der Haustür warten. Ihnen gefallen die Corona-Restriktionen ganz gut. Herrchen ist fast immer bei ihnen, Homeoffice – auch wenn es mich langsam nervt. Frauchen muss zwar arbeiten, ist aber früher zuhause. Corona fegt die Straßen leer. Selbst in der Rush Hour. Unsere Hunde schert das nicht. Sie nehmen das Leben wie es kommt. Für sie kommt besonders gut. Was für uns Corona-Stress ist, nehmen unsere Hunde und Katzen cool.

Social distancing mit Tieren

Jetzt telefoniere ich soviel wie in meinem ganzen Leben nicht. Privat wie beruflich. Meine Freundinnen und Freunde sind – Du kannst es Dir denken – alle Hunde- und Katzenfreunde. Alle sind langsam gestresst. Mehrere Wochen „social distancing“, kein Konzert, kein Restaurant, kein Fußball. Existenznöte gesellen sich hinzu. Fast harmlos noch erscheint Kurzarbeit. Am schlimmsten dran ist Claudia. Sie hat eine Boutique mitten in der Innenstadt. Die läuft eigentlich sehr gut. Zehntausende Euros stecken in der Frühjahrskollektion. In Regalen hinter verschlossener Ladentür. Die wird im Mai kaum mehr zu verkaufen sein. Die Miete muss irgendwann bezahlt werden und alle anderen Fixkosten ebenso. Und leben will Claudia auch noch. Zu ihrem Leben zählen Karlchen, ein stammbaumloser, umso kernigerer Yorkshire-Terrier und ihre beiden British Blue Kater, Max und Moritz. Die drei sind ihre Familie. Ihr ein und alles und ihr wichtigster Trost in dieser Zeit, die alles ändern wird. Ohne die drei wäre sie längst in der Psychiatrie gelandet oder noch schlimmer, vertraut mir Claudia an, eigentlich eine starke Frau.

Der Wert von Tieren in der Krise

Der Wert von Karlchen, Max und Moritz ist unbezahlbar. Das bestätigen wissenschaftliche Studien. Ich merke es in meinem Beruf als Diplom-Psychologe. Besonders jetzt. Ehrenamtlich engagiere ich mich am Sorgentelefon meines Berufsverbandes für gestresste Menschen unter Corona-Isolation. Auch hier erlebe ich es immer wieder, dass Menschen Trost bei ihren nicht-menschlichen Freunden finden. Es hört sich vielleicht schmalzig an. Doch schließen sich Hunde, Katzen, Menschen in der Not zusammen. Die Bindung wird viel intensiver. Ich möchte nicht wissen, wie viele Menschen in dieser Zeit durch ihre Freunde mit Fell vor dem psychischen Kollaps bewahrt werden. Drei ganz unterschiedliche Spezies, in der Not vereint. Fantastisch. Leider gilt das nicht immer. Oft melden sich Frauen. Häusliche Gewalt ist das Stichwort. Am schlimmsten, Gewalt gegen Kinder. Ich höre zwischen den Zeilen auch von Gewalt gegen Tiere. Die Katze und der Hund, die plötzlich weggetreten werden. Der Frust sucht ein Ventil. Natürlich immer bei den Schwächsten. Ich habe meine Gedanken aufgeschrieben „Corona – unsere Psyche im Notstand“.

Corona-Folgen für Hund und Katze

An die Tiere denkt sonst keiner. Soweit mir bekannt, gibt es weltweit keine Statistik zu häuslicher Gewalt gegen Tiere. Tierärzte berichten zuweilen von einer hohen Dunkelziffer. Aus China gibt es amtliche Berichte über massenhaft in den Wohnungen wegen Corona zurückgelassene Haustiere. Leute mussten plötzlich weg, Quarantäne. Oder konnten wegen Reisesperren nicht mehr zurück. Viele Tiere verdursteten oder verhungerten. Tierheime haben ebenfalls Not. Und was passiert mit den in Puppy-Mills und bei Vermehrern produzierten Welpen, die derzeit nicht zur Vermarktung nach Deutschland gebracht werden können? Nach der Krise werden sie zu alt sein.

Ansteckungsgefahr durch Haustiere?

Durch die Medien geistern Andeutungen, dass Hunde und besonders Katzen das Virus Sars-Cov-2 übertragen könnten. Hier auf dem Portal von ZooRoyal haben Fachleute die Sachlage erklärt. Die Botschaft: Unter praktischen Alltagsbedingungen geht keinerlei Gefahr von Katzen oder Hunden aus. Trotzdem lese ich in der Presse reihenweise Ermahnungen, die Katzen nicht mehr rauszulassen. Davon halte ich nichts. Sollen wir eine an Freigang gewöhnte Katze jetzt einsperren, wie uns selber? Ohne einen triftigen Grund, quasi aus diffusem Ordnungswahn heraus? Klar, ein enges Zusammenleben mit Tieren birgt immer ein spezielles Risiko. Das Risiko wird jedoch durch die speziellen gesundheitlichen Vorteile und Gewinne weit mehr als ausgeglichen. So entwickeln Kinder, die mit Haustieren aufwachsen, ein viel robusteres Immunsystem. Und gerade die positive Wirkung auf unsere Stressachse ist wissenschaftlich anerkannt. Ein gesenktes Stressniveau hat etliche gesundheitsfördernde Wirkungen. Vornedran stärkt es unser Immunsystem gegen Viren. Nicht nur deswegen: Gerade jetzt helfen uns Hunde und Katzen millionenfach. Sie stärken unsere Psyche, schenken uns Kraft, diese überdimensionale Krise zu meistern. Wir sollten es ihnen danken, ganz bewusst.


Christoph JungChristoph Jung Seit seiner Kindheit gehören Hunde zu den besten Freunden des Hundeforschers. Die Beziehung Mensch – Hund ist für ihn ein faszinierendes Thema, das ihn täglich beschäftigt und für das er sich auch öffentlich engagiert. Aus seiner täglichen Forschung entstand das Buch „Tierisch beste Freunde“. Jung lebt mit seiner Familie und seinen Hunden in der Nähe von Halle.


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Kommentare, Fragen und Antworten
  1. Danke für den schönen Kommentar. Nach dem Lesen habe ich geschluckt. Sagen möchte ich nichts mehr.
    Liebe Grüße M.G.

  2. Umbekannt sagt:

    Hunde sind schlaue liebe Tiere
    Und finde es furchtbar schrecklich wenn sie einfach getötet werden hasse diese Menschen die sowas tun ohne Grund und auf grausame Art

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