Zunächst ein Ausflug an die Steilküste
Früher bin ich leidenschaftlich gern in Meeresnähe auf Felsen herumgeklettert und habe mich an Ausblicken von Türmen, Bergen und Steilküsten erfreut. Ich habe keine Sekunde darüber nachgedacht, dass ich verunglücken oder sonst irgendetwas passieren könnte. Dann habe ich vor ein paar Jahren in einem Hochseilgarten plötzlich eine ganz unangenehme Erfahrung gemacht: Ich befand mich mitten auf einem langen Hindernis, das aus schwingenden Planken bestand – und konnte plötzlich weder vor noch zurück. Ich war wie gelähmt und habe nur noch die Tiefe unter mir wahrgenommen. Erst nach mehreren Minuten gelang es mir, den Rest des Hindernisses zu überwinden. Zu keinem Zeitpunkt bestand echte Gefahr für mich: Ich war gesichert und notfalls hätte meine Begleitung Personal bitten können, mich aus meiner misslichen Lage zu befreien. Dennoch: Nach diesem Erlebnis habe ich Höhenangst entwickelt, die von Jahr zu Jahr stärker zu werden schien. Meist habe ich das im Urlaub festgestellt, wenn mir bei Wanderungen an Stellen, die mich früher entzückt hätten, plötzlich angst und bange und schwindelig wurde und meine Beine sich in Wackelpudding verwandelten. Ich musste immer häufiger Wanderungen abbrechen bzw. die Routen anpassen.
Was hat das nun mit deiner Katze zu tun? Oder mit Clickern? Keine Angst, ich komme da bald hin.
Zunächst noch ein weiterer Ausflug: in die Mathematik
Auch wenn mich die Höhenangst im Alltag aufgrund mangelnder Auslöser nicht belastet hat, hat sie doch meine Urlaube (und die meiner Urlaubsbegleitung) plötzlich sehr beherrscht. Ich war traurig, dass so viel plötzlich nicht mehr möglich war, und habe beschlossen, der Höhenangst langsam, aber stetig entgegenzutreten. Dafür habe ich zunächst kleine Höhenherausforderungen gewählt, um mich nicht von vorneherein zu überfordern (es gab Momente, wo mich schon die Kante eines tiefen Straßengrabens angstvoll zurückweichen ließ). Der Schlüssel lag für mich darin, beim Aufenthalt an „Abgründen“ bzw. der Bewältigung von Wegen, an deren Seite es in die Tiefe ging, kontinuierlich kleine Rechenaufgaben zu lösen. Ich habe mir willkürlich eine zweistellige Zahl ausgewählt (z.B. 37) und dann immer 7 hinzuaddiert: 37+7=44+7=51+7=58+7 …. Unter Stress gleicht das schon höherer Mathematik und erfüllt seinen Zweck.
Ich habe mit diesen kleinen Rechenaufgaben begonnen, sobald ich eine kritische Stelle entdeckt habe (oder spätestens, wenn ich sie gefühlt habe!) und das Rechnen so lange fortgeführt, bis ich die kritische Stelle überwunden hatte. Um mich nicht so leicht von Angstgedanken ablenken zu lassen, habe ich meine Rechnereien auch noch leise vor mich hingemurmelt. Was hat das gebracht? Ich habe kein einziges Mal meinen Weg abbrechen müssen und meine körperlichen Angstsymptome haben sich drastisch reduziert. Ich wurde durch schöne Ausblicke und Wanderungen und vor allem auch das Gefühl, es geschafft zu haben, reichlich belohnt, und konnte so die Schwierigkeitsgrade langsam wieder etwas steigern. Ich eroberte mir also die Kletterei in kleinen Schritten zurück.
Was haben Rechenaufgaben und Clickertricks gemeinsam?
Was ist da passiert? Warum kann ich steile Pfade heruntersteigen, wenn ich dabei 19+7 rechne? Weil ich durch die Rechnerei einen bestimmten Teil meines Gehirns aktiviere, nämlich das Vorderhirn. Den Teil, der für bewusstes Denken und Rationalität zuständig ist. Emotionen wie Angst oder Wut entstehen in anderen Teilen des Gehirns. Wenn wir nun in voller Absicht unser Vorderhirn beschäftigen, können wir damit ein Gegengewicht zum emotionalen Zentrum und damit unseren Gefühlen schaffen. Für die Bewältigung von Ängsten ist das ein hilfreicher und freundlicher Weg.
Die Gehirne unserer Katzen sind – in Kleinformat – ähnlich aufgebaut wie unsere. Auch bei Katzen liegen das emotionale Zentrum und der „denkende Teil“ in verschiedenen Arealen und können als Gegenspieler zueinander wirken. Wenn deine Katze mit dir Clickertricks übt und ausführt, dann konzentriert sie sich dabei. Sie führt bewusst bestimmte Bewegungsabläufe oder Verhaltensweisen aus, um sich Click und Belohnung zu verdienen. Sie handelt also überlegt – und im kleinen Katzenköpfchen ist das Vorderhirn in diesem Moment aktiv. Deine Katze befindet sich im Denkmodus. Und auch bei deiner Katze bewirkt dieser Denkmodus, dass Emotionen in den Hintergrund treten.
Und die Moral von der Geschicht‘?
Das Fazit: Du kannst Tricks einsetzen, um deiner Katze bei der Überwindung von Ängsten bzw. dem Bewältigen von beängstigenden Situationen zu helfen.
Damit es klappt
Drei Punkte solltest du dabei beachten:
- Dieses Vorgehen ist für Situationen geeignet, in denen deiner Katze keine reale Gefahr droht.
- Deine Katze muss die Tricks zunächst in entspannten Situationen erlernen und verinnerlichen, bevor du sie zur Angstbewältigung einsetzen kannst.
- Und du solltest die Tricks so auswählen, dass du sicher bist, dass deine Katze sie trotz ihrer Anspannung auch erfolgreich zeigen kann. Nimm also am besten etwas, was deiner Katze besonders leicht fällt oder einen ihrer absoluten Lieblingstricks.
Natürlich funktioniert diese freundliche Methode zur Abmilderung von Ängsten und anderen unangenehmen Gefühlen nicht nur bei Katzen und Erwachsenen, sondern auch bei Kindern, Hunden, Pferden, Kaninchen, …
Bitte zögere nicht, dir Anleitung vom Katzenverhaltensprofi zu holen, um ein solches Training gut vorzubereiten und mit weiteren hilfreichen Maßnahmen zu flankieren.