Allgemeines zum Verhalten
Ein Zustand der überstarken Bindung wird im Fachjargon als Hyper Attachment bezeichnet. Man unterscheidet zwischen primärem und sekundärem Hyper Attachment. Beim primären Hyper Attachment liegt keine weitere Verhaltensproblematik vor, die die überstarke Bindung verursacht. Die starke Bindung ist ein erlernter Prozess, der beispielsweise durch unbewusste Bestätigungen des Hundehalters entstanden sein könnte.
Beim sekundären Hyper Attachment hingegen liegt eine andere Störung, beispielsweise eine Angststörung, zu Grunde. Der Hund zeigt eine intensive Bindung zu seiner Bezugsperson, um die Problematik seiner Angststörung zu überspielen und auszugleichen. Mit seiner Vorgehensweise versucht der Hund sein emotionales Gleichgewicht zu halten. Es können auch mehrere Störungen gleichzeitig vorliegen.
Wir Hundehalter lieben unseren Vierbeiner und freuen uns, mit ihm so viel Zeit wie möglich zu verbringen und den Alltag zu meistern. Wir genießen in der Regel jede gemeinsame Minute und lieben es, mit unserem felligen Gefährten ausgiebig zu spielen, zu entspannen und zu kuscheln. Wir haben Freude an den täglichen Spaziergängen und sind mitunter sportlich gern aktiv und unternehmen noch viele weitere gemeinsame Aktivitäten. Unser Hund ist ein Teil unserer Familie und enorm wichtig für uns.
Ist doch klar, dass wir uns eine starke, ausgeglichene und gesunde Bindung zu unserem Hund wünschen und uns freuen, wenn uns dieser auch seine Zuneigung zeigt. Ist das vertrauensvolle Band erst einmal geknüpft, sind wir überglücklich.
Vor diesem Hintergrund können wir uns kaum vorstellen, dass es so etwas wie eine zu enge Bindung zum Hund überhaupt gibt. Doch das ist sogar ein recht häufig auftretendes Verhaltensprobleme und kann für alle Beteiligten sehr belastend sein. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Hund an seinem Halter „klebt“, ihm nicht mehr von der Seite weicht, immerzu Aufmerksamkeit einfordert und stark gestresst ist, wenn der Halter abwesend ist.
Wie entsteht Hyper Attachment?
Unseren Vierbeiner zu lieben und ihn an unserer Seite wissen zu wollen, stellt an sich noch kein Problem dar. Problematisch wird es jedoch oft, wenn wir unseren Hund nicht mehr Hund sein lassen, sondern ihn stark vermenschlichen. Bewusst oder unbewusst kann es sogar passieren, dass wir ihn komplett für uns beanspruchen und ihm sogar den Kontakt zu Artgenossen oder anderen Menschen verwehren. Infolgedessen kann es zu einer zu intensiven und ungesunden Bindung kommen.
Hunde aus schlechter Haltung können ebenfalls zu einer starken Bindung neigen. In beiden Fällen handelt es sich um das primäre Hyper Attachment.
Wie bereits erwähnt, liegt dem sekundären Hyper Attachment eine andere Störung zu Grunde, wie die Angststörung. Auch depressive Störungen können die Ursache sein. Meist ist die Symptomatik des sekundären Hyper Attachments einer Trennungsangst ähnlich. Eine genaue Vorgehensweise mit ausführlicher Anamnese ist daher besonders wichtig, um dem Vierbeiner helfen zu können.
Was tun bei Hyper Attachment?
Bei einer übermäßig starken Bindung ist ein genaues Vorgehen sehr wichtig. Schließlich ist es der Hund gewohnt, immer mit dem Hundehalter zusammen zu sein. Eine Trennung, sei sie auch noch so kurzweilig, kann beim Hund Stress, Angst und Panik auslösen – vor allen Dingen, wenn es sich um eine Trennung handelt, die nicht dem normalen Alltagsrhythmus entspricht. In jedem Fall ist das Aufsuchen eines Hundeverhaltensberaters sinnvoll, um einen auf das Mensch-Hund-Team angepassten Trainingsplan inklusive vorübergehender Managementmaßnahmen zu erarbeiten.
Ist die Bindung zum Hundehalter zu stark, sind Übungen für die Bindungslockerung empfehlenswert. Je nach Diagnose des Hundeverhaltensberaters kann beispielsweise die aktive Pause solch eine Technik sein. Dies bedeutet, dass der Hund in einer bestimmten Übungssequenz weder angefasst noch angesprochen oder angesehen wird.
Ganz wichtig: Bei der aktiven Pause geht es NICHT darum den Hund durch Ignorieren zu strafen. Vielmehr soll er, durch einen strukturierten und kleinschrittigen Aufbau, lernen sich selber emotional regulieren zu können, d. h. ohne Interaktion mit seinem Bindungspartner dennoch stabil zu sein.
Dafür ist ein sehr gut geplantes Vorgehen nötig. Dazu gehört z. B. ein Dauersignal, welches dem Hund sagt, dass jetzt keine Interaktion stattfinden wird. Auch das vorherige Einrichten einer sicheren Ecke kann sinnvoll sein, wo der Hund Geborgenheitsreize findet, die ihm helfen entspannt zu bleiben. Außerdem sollten die Übungseinheiten anfangs sehr kurz gehalten werden. Je nach Hund können dies anfangs nur 30 Sekunden sein, die dann nach und nach erweitert werden. Auch der Halter braucht hier oft eine gute Begleitung, da es ihm sehr schwer fallen kann seinen Hund eine gewissen Zeit nicht beachten zu dürfen. Daher ist hier die Unterstützung eines Hundeverhaltensberaters unbedingt angeraten!
Auch das Trainieren von Signalen auf Distanz kann dabei helfen dem Hund Sicherheit zu vermitteln. Lernt dieser nämlich, dass der Hundehalter bei einem größeren Abstand ebenso in der Lage ist Regeln aufzustellen, Signale einzufordern und den Hund zu führen und zu leiten. Für ihn bedeutet dies Klarheit, Struktur und somit Sicherheit. Es kann beispielsweise schon das Sitz sein, das aus zwei Metern Entfernung eingefordert wird. Ein guter Trainingsschritt ist es häufig auch, den Hund auf seinen Platz, seine Decke oder ins Körbchen schicken zu können.
Eine Hundebox kann sich bei dieser Thematik ebenfalls als sehr nützlich erweisen. Die Box als Rückzugsort kann durch den höhlenartigen Charakter Sicherheit bieten. Lernt der Hund sich dort zu entspannen, kann er sich für kleinere Sequenzen dorthin zurückziehen oder auch geschickt werden.
Tipps für den Alltag
Emotionen spielen in unserem Alltag eine sehr große Rolle und dürfen nicht unterschätzt werden. Im Zusammenleben mit unserem Vierbeiner sollten wir uns diese gelegentlich vor Augen führen. Wie fühlen wir uns, wenn unser Hund permanent an uns „klebt“? Wollen wir das und fördern wir es wohlmöglich sogar noch? Könnten wir unseren Hund ohne Probleme auch mal allein lassen, wenn es erforderlich ist? Schließlich gibt es viele Situationen, in denen uns unser Vierbeiner nicht begleiten darf (Arztbesuch, Einkauf, Friseur usw.). Ganz gleich, um was es sich handelt, unser Hund wird in dieser Zeit Zuhause für eine bestimmte Zeit allein bleiben müssen. Empfinden wir dann Mitleid und haben Sorge? All diese Fragen können helfen, sich näher mit der Bindungsthematik und dem Umgang mit unserem Hund auseinander zu setzen, um ein gesundes Maß für ein harmonisches Miteinander zu finden.
Mit ihrem Mann Jörg Ziemer gründete sie das Schulungszentrum Ziemer & Falke, in dem sie seit vielen Jahren mit viel Herz, Leidenschaft und Kompetenz Hundetrainer in ganz Deutschland ausbilden und viele Weiterbildungsangebote anbieten. Viele kennen Kristina außerdem als erfolgreiche Autorin von Fachbüchern für Hundetrainer und Hundehalter sowie aus Artikeln beliebter Hundezeitschriften. Als Dozentin ist Kristina Ziemer-Falke sehr gefragt und deutschlandweit auf Seminaren und Vorträgen zu Themen rund um den Hund anzutreffen.